Wiedersehen in Baham

Im März war ich zu Besuch in Kamerun – zum ersten Mal nach meinem Freiwilligenjahr. Es war wie nach Hause kommen.

Auf der Fahrt von Douala nach Baham kam mir alles noch so bekannt vor. Ich wusste auch ohne Straßenschilder immer, wo ich war. Als ich im Centre ankam, war die Freude auf beiden Seiten groß. Kaum war ich aus dem Auto gestiegen, hatte ich ein Dutzend Kinderarme um den Hals, die Hüften oder die Beine. Ein dicker Kloß saß mir im Hals. Ich hatte die Kinder wirklich sehr vermisst. Viele haben sich kaum verändert. Hier und da sind die Haare länger oder kürzer, die Körperlängen um ein paar Zentimeter gewachsen und einige Popos sitzen in anderen Rollstühlen als damals. Ich erkannte alle sofort wieder.

Nur Linda hat mich total überrascht: Die kleine, süße Linda, die sonst nur im Rollstuhl saß oder auf den Knien über den Boden kroch, kann laufen! Zwar auf Krücken und ewig langsam, aber sie läuft! Dabei sieht sie aus wie ein kleines Giraffenbaby auf Wackelpuddingbeinen mit klobigen Schuhen. Sie braucht fast eine Viertelstunde von ihrem Zimmer bis in den Speisesaal. Am liebsten hätte ich sie manchmal hochgehoben und sie schnell hinüber getragen, aber das hat mir MaDe verboten. Linda trösten und ihr hoch helfen, wenn sie hingefallen ist, darf ich. Es ist wirklich erstaunlich, was sie in der kurzen Zeit gelernt hat!

Es begrüßten mich auch einige neue Gesichter: Maeva Princesse, Sandrine, Ashley, Nouria, Mohammed und Bobo. Sie sind mir sehr offen entgegengekommen und schon nach einigen Tagen fühlte es sich an, als würde ich sie genauso lange kennen wie die anderen.

Dafür sind einige andere nicht mehr im Centre. In der Begrüßungsrunde fehlten Jules, Ange, Amadou, Raoul, Marie-Claire und Marie Noel. Alle sechs habe ich aber im Lauf der Zeit wiedergesehen. Marie-Noel und Marie-Claire fehlen im Nähatelier. Die Bororo-Frauen kommen seit einiger Zeit auch nicht mehr. Deshalb arbeitet MaDe pausenlos. Seit September 2014 leitet sie die Physiotherapie und kommt nachmittags ins Centre, um noch ein paar Stunden zu nähen. Es ist wirklich bemerkenswert, wie sie das auf die Reihe bekommt!

Marie-Noel ist seit Weihnachten nicht mehr in Baham. Sie hat um den Jahreswechsel Vitalis geheiratet und ist in sein Dorf, Ndop, gezogen. Dort bewohnen die beiden eine Ein-Zimmer-Wohnung. Die Feuerstelle teilen sie sich mit einer anderen Frau. Ihr Ladencontainer, der eigentlich in Douala stehen sollte, befindet sich nun in Ndop. Leider ist in dem Container noch keine Stromleitung. Sobald diese liegt, möchte sie anfangen zu nähen. Ich habe Marie-Noel zweimal besucht. Ich bin super gespannt darauf, in einigen Jahren zu sehen, was aus ihren Träumen geworden ist.

In der Männerwerkstatt läuft es ziemlich gut. Lionel, der damals in meiner Klasse war, hat vor einigen Monaten beschlossen, Schule sei nur was für Kinder und er sei nun mal kein Junge mehr. Und so werkelt er nun mit Phillip tagsüber zusammen im Atelier hommes. Für die beiden Kreativköpfe ist es genau das Richtige. Vor kurzem haben sie eine große Ladung Bambus bekommen, den sie in Hocker umwandeln oder zu Schränken verbauen.

Lionel ist nicht der einzige, der gerade zwischen Kindheit und Jugend steht. Als ich Ange besuchte musste ich lachen, so sehr ist er im Stimmbruch.

In „meinem“ Klassenraum hängen immer noch meine Wochenthemen und viele gebastelte Blumen, Schmetterlinge und Bienen an den Wänden. Dazwischen wurden aber andere Sachen von meinen Nachfolgern angeklebt, die davon zeugen, dass anderthalb Jahre vergangen sind. Es ist komisch zu erfahren, dass es eine Bewohnerin gab, Micheline, die nur in dem Jahr nach mir da war und die ich gar nicht kennenlernen konnte. Im Atelier femmes sitzen Frauen, die ich noch nie gesehen habe und die sich trotzdem schon bestens auskennen. MaCathi, die neue Köchin, spaßt mit den Kindern rum, als würde sie sie schon immer kennen, sie war damals noch nicht da. Aus Schwangerschaftsbäuchen sind frei laufende Kinder geworden: Danielle von Marie-Claire, Deograce von Père Georges und wie Zoubaiis Kind heißt weiß ich leider nicht. Dabei war ich doch gar nicht so lange weg!

Auch an den Tagesabläufen hat sich einiges geändert. Die größte Veränderung bestand für mich darin, dass ich jetzt keine festen Zeiten hatte, denn ich war ja nur zu Besuch. An den ersten Tagen, an denen Josi und Aaron nicht da waren, musste ich allerdings unterrichten. Danach konnte ich machen, was ich wollte. Meistens habe ich mir eines der Babys zum Spielen geschnappt oder in der Küche oder im Atelier femmes herumgesessen. Den Unterricht von Aaron und Josi wollte ich ungern stören.

Das Atelier femmes, das früher mein Lieblingsort war, ist es heute nicht mehr. Einmal, weil mir Marie-Noel und die Bororos fehlen und die neuen Frauen nicht so gerne mit mir geredet haben, aber auch, weil super viel zu tun war. 30 Choruniformen mussten genäht werden – ein großer Auftrag. Alle waren so in die Arbeit vertieft, dass an quatschen und rumblödeln nicht zu denken war. Nähen helfen konnte ich auch nicht, weil alle Maschinen besetzt waren.

Zweimal die Woche fahren Lionel und Phillip auf das Feld in Foumbot. Das Agrikulturprojekt läuft nun seit zwei Jahren und funktioniert anscheinend echt gut. Auch der Neubau des Centre neben der Physiotherapie ist weitergegangen. Das Startgeld kam von einer niederländischen Stiftung. Leider haben die Bauarbeiter mehr Felsen im Boden gefunden als erwartet. Diese können nicht entfernt werden und so mussten die Pläne geändert werden. Mittlerweile stehen alle Wände und das Wellblechdach liegt oben drauf. Die Hoffnung ist, dass das Centre Ende dieses Jahres umziehen kann, aber so richtig glaubt niemand dran.

Jana, meine VEM-Nachfolgerin, war zur gleichen Zeit wie ich zu Besuch und mir eine willkommene Reisebegleiterin und Gesprächspartnerin. Abends saßen wir oft zusammen mit Josie und Aaron im Salon, zum Karten spielen, essen und quatschen. Dieses abendliche Beisammensein war jedes Mal ein wunderbarer Abschluss des Tages.

Abstand zu Deutschland habe ich während meiner Besuchsreise übrigens nicht wirklich bekommen. Das lag erstens am Internet auf dem Handy: Ich war nämlich über WhatsApp, Facebook und E-Mail immer erreichbar, ganz anders als damals. Mobiles Internet haben jetzt gefühlt alle in Kamerun. Und es ist sogar echt schnell und relativ günstig. Kommunikation läuft jetzt viel über WhatsApp. Zweitens befand ich mich mitten im Uniwechsel. Die neue Uni verlangte viel mehr Unterlagen als geplant. Und so saß ich jeden Tag vor dem Laptop oder am Handy, um alles zu organisieren. Das war sehr schade, weil ich deshalb weniger Zeit mit den Leuten in meiner direkten Umgebung verbringen konnte. Aber es war erfolgreich: Ich habe jetzt einen Studi-Ausweis der Freien Universität Berlin! Yay!

Ich hatte wirklich eine wunderbare Zeit in Baham. Die vier Wochen sind wie im Flug vergangen und am Ende war ich richtig traurig, wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Baham wird immer ein Zuhause für mich sein. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten „Heimatbesuch“!